Das barbarische Europa
Aus dem Polnischen von Heidemarie Petersen
Mit einer Einführung von Eduard Mühle
Klio in Polen 13
483 S., Karten
ISBN 978-3-938400-66-1
Die Ursprünge der europäischen Kultur werden bis heute in erster Linie auf die antike Zivilisation des Mittelmeerraumes, den lateinisch-christlichen Kulturkreis zurückgeführt. Dabei hat die griechisch-römische Wahrnehmung des barbaricum lange nachgewirkt. Dessen Welt erstreckte sich vom keltischen Irland über den schottischen und skandinavischen Norden in die baltisch-ostlavisch-finnougrischen Wald- und Steppengebiete, sie umfasste östlich und nördlich von Rhein und Donau jene germanischen und slavischen Gemeinschaften, aus denen im frühen und hohen Mittelalter die territorial-politischen Grundlagen des heutigen Mitteleuropa entstanden.
Dass die Kultur Europas auch weit verzweigte »barbarische« Wurzeln hat, dass auch das »barbarische Europa« einen wesentlichen Beitrag zur Ausbildung und Gestaltung Europas geleistet hat – dies ist die Grundthese, die Karol Modzelewski in seinem vorliegenden, im Original 2004 erschienenen Werk entwickelt. Die weit angelegte, innovative Studie untersucht die Strukturen und den Wandel der sozialen Ordnung der »barbarischen« Völker. Das geschieht in erster Linie am Beispiel der mitteleuropäischen Germanen und Westslaven, doch werden vergleichend auch die skandinavischen und ostslavischen Verhältnisse mit einbezogen. Chronologisch umspannt die Analyse weit über ein Jahrtausend, das Spektrum der Schriftquellen erstreckt sich von Caesars »Commentari de bello Gallico« bis zu hochmittelalterlichen Chroniken und Rechtsaufzeichnungen.
Karol Modzelewskis opus magnum zeichnet das Bemühen aus, die detaillierte Quellenarbeit mit einer verallgemeinernden Modellbildung zu verbinden. Die umfassend dokumentierten Details und präzise herausgearbeiteten Einzelphänomene fließen so in diesem Werk zu einer beeindruckenden Synthese zusammen.
KAROL MODZELEWSKI (1937−2019) war Professor für mittelalterliche Geschichte an den Universitäten Breslau und Warschau. Seit den 1960er Jahren gehörte er der politischen Opposition gegen die herrschende Polnische Vereinigte Arbeiterpartei an und war mehrere Jahre inhaftiert. Während der August-Streiks 1980 in Polen prägte er den Namen »Solidarność« (»Solidarität«) für die neue Gewerkschaft und engagierte sich in den 1980er Jahren politisch und publizistisch für die »Solidarność« und die Oppositionsbewegung. 1989–1991 war er Mitglied des Polnischen Senats, 2007–2010 Vizepräsident der Polnischen Akademie der Wissenschaften.